Am 22. Juni 1941 begann das „Unternehmen Barbarossa“. Der 75. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion ist in Deutschland kein offizieller Gedenktag. Der brutale Feldzug im Osten hat 27 Millionen Menschen das Leben gekostet, zwei Drittel davon Zivilisten. Allein der Blockade Leningrads, die das systematische Aushungern der Bevölkerung zum Ziel hatte, fielen mehr als eine Million Einwohner zum Opfer. Tausende Dörfer und Städte in der Ukraine, in Weißrussland und in Russland wurden zerstört. Beinahe jede Familie in den Nachfolgestaaten der Sowjetunion hat ihre eigene Geschichte vom schrecklichen Leid, das die Deutschen über sie gebracht haben. Der 22. Juni, der Beginn des bis dato größten und grausamsten Vernichtungskriegs der Menschheitsgeschichte, gerichtet gegen die Völker der Sowjetunion, ist ihr Tag des Gedenkens. Er ist ein Tag der Weltgeschichte.

Vor diesem Hintergrund hat die Stiftung ein Seminar für Studenten und junge Menschen aus Russland und Deutschland gefördert, das die Deutsch-Russische Freundschaftsgesellschaft in Thüringen e.V. und die Akademie für Volkswirtschaft und Staatlichen Dienst Kaluga zum Thema „Gedächtnisarbeit 22. Juni 1941 – 2016“ vom 21. – 24.6.2016 in Moskau durchgeführt haben.

Seminarteilnehmende aus Thüringen gedenken am 22. Juni 2016 an der „Ewigen Flamme“ im Moskauer Alexandergarten der 27 Millionen SowjetbürgerInnen, die ihr Leben im 2. Weltkrieg lassen mussten.

So konnten die mit eigenen Beiträgen gut vorbereiteten Teilnehmenden persönliche Erfahrungen aus ihren Familien und deren Betroffenheit vom Krieg darlegen, über Traditionsarbeit im Kalugaer Gebiet berichten, die rechtliche Bewertung der sowjetischen Kriegsgesetzgebung und Direktiven der deutschen Wehrmacht im Verhalten gegenüber der Zivilbevölkerung und die historische Einordnung von Kriegen im 20. Jahrhundert diskutieren sowie aktuell die Folgen des 22. Juni für 2016, die Arbeit mit Gedenkstätten, aber auch die wirtschaftlichen Auswirkungen der aktuellen Sanktionen gegen Russland auf Thüringen und die Rolle der Medien thematisieren.

Seminar in der Russischen Akademie für Volkswirtschaft und den Staatlichen Dienst in Moskau

Dass der Zweite Weltkrieg in deutschen Schulen nur in 153 Minuten abgehandelt wird, ist nach Meinung des am Seminar teilnehmenden Vize-Vorsitzenden der Deutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen Günter Guttsche viel zu wenig. Er dürfe deswegen keinen Vorwurf der Jugend von heute machen, sagte er in Moskau dem Sputnik-Korrespondenten Nikolai Jolkin im Interview anlässlich des Gedenktages am 22. Juni. „Die älteren Generationen, die die Zerstörung und den Aufbau erlebt haben, werden immer leiser, auch die Erinnerung in den Familien wird immer leiser“, klagte auch Teilnehmerin Katrin Maurer. „Ich gehöre zu der jüngeren Generation, die versucht, alles, von dem sie nicht weiß, wie es eigentlich war, zu rekonstruieren.“ Sie verwies ebenfalls darauf, dass die Lehrbücher viel zu wenig Information über den Krieg von Nazi-Deutschland gegen die Sowjetunion liefern. „Die klare Linie zwischen uns Deutschen und den Russen muss für jeden sichtbar werden“, meinte auch Dr. Martin Kummer, Vorsitzender der Deutsch-Russischen Freundschaftsgesellschaft in Thüringen und Mitglied im Vorstand der Stiftung West-Östliche Begegnungen. „Wenn man die Geschichte kennt und sie nacherlebt, dann ist es ganz einfach, dem Mainstream gegen Russland zu begegnen. Deswegen legen wir zusammen mit jungen Leuten Blumen am Grab des Unbekannten Soldaten an der Kremlmauer nieder. An diesem russischen Volkstrauertag, dem 22.Juni, wollen wir mit ihnen reden und zeigen, dass es außer dem Mainstream eine Zivilgesellschaft in Deutschland gibt, die klar und dokumentarisch sagt, wie unser Verhältnis zu Russland sein soll.“

Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Sieges in Moskau am Belarussischen Bahnhof